Stellungnahme 1/2004 zu den
aktuellen bildungs- und schulpolitischen Entscheidungen der
Bayerischen Staatsregierung, insbesondere des Bayerischen
Staatsministeriums für Unterricht und Kultus;
hier: Veränderungen in
der Struktur, der Stundentafel und des Lehrplans am Gymnasium ("G8")
1. Die Qualität des Bayerischen
Gymnasiums G9 ist schlechter als sein Ruf.
Unsere Diagnose: PISA 2000 beschreibt treffend die Defizite,
welche die Fachdidaktik Chemie schon seit Jahren aus der
unterrichtlichen Praxis kennt
und gegen die sie auch bereits Gegenmaßnahmen entwickeln konnte. Das
Format der Schülerübungen weist diesbezüglich den geringsten
Änderungsbedarf auf.
Unser Angebot: Beratung der Lehrplan schreibenden Gremien
bezüglich inhaltlicher Erneuerung sowie Mitwirkung in einer
Fortbildungsreihe zur methodischen Öffnung im Sinne der
PISA-Empfehlungen.
2. Die Umstellung auf G8 ist an
sich weder eine Verbesserungs- noch eine Verschlechterungsmaßnahme.
Die Idee, damit zur Vereinheitlichung der Schulsysteme in Deutschland
und Europa beizutragen, wird voll unterstützt.
Unsere Diagnose: Die zeitliche Eile und die
Gesichtspunkte, nach denen Stundentafeln festgelegt werden, sind
vollständig kontraproduktiv und werden unserer Meinung nach mit
Sicherheit zu einer Verschlechterung der Unterrichtseffektivität in
Zeiten des G8 führen. Bestehende sinnvolle Konzeptionen können nicht
fortgeführt, neue, längst überfällige, nicht diskutiert bzw.
eingeführt werden. Dies
bezieht sich zu gleichen Teilen auf fachliche, lehr-lern-technische
sowie erziehungswissenschaftliche Unterrichtsanteile.
Unser Angebot: Zusammentragen fachtypischer Erfahrungen
aus anderen Bundesländern mit G8 in einem realistischen Zeitrahmen,
sowie Ergänzung durch eigene Vorstellungen zur Verbesserung in
Zusammenarbeit mit Seminarlehrern.
3. Die Naturwissenschaftliche
Bildung im G8 und insbesondere in der
Naturwissenschaftlich-Technologischen Ausbildungsrichtung berechtigt
in keinem Punkt zu Erwartungen, nach denen das Bayerische Gymnasium in
den nächsten Jahren nach PISA ins Mittelmaß der europäischen Länder
aufrücken könnte.
Unsere Diagnose: Im Vergleich zu den meisten europäischen
Ländern ist der Rang der Naturwissenschaften äußerst niedrig,
technische Inhalte fehlen sogar am
Naturwissenschaftlich-Technologischen Zweig vollständig. Das Fach
Informatik ist wie ein Fremdkörper zwischen Naturwissenschaften
gesetzt worden.
Unser Angebot: Erarbeitung eines tragfähigen
Grundwissen-Konzeptes in Zusammenarbeit mit Kollegen aus der Didaktik
der Technik, um Naturwissenschaften und Technik sinnvoll miteinander
zu vernetzen. Brauchbare Informatikinhalte müssen schulstufengerecht
in die naturwissenschaftlichen Fächer integriert werden. Ein eigenes
Fach in der Unter- und Mittelstufe ergibt keinen altersgerechten Sinn.
4. Mit dem Fach Natur und
Technik in der G8-Ausprägung ist ein viel versprechendes Fach mit hohem
Erziehungspotenzial zu einem Fächeragglomerat ohne Mehrwert degradiert
worden.
Unsere Diagnose: Zusammen mit der höchsten mittleren
Klassenstärke unter den Bundesländern und der nur äußerst vagen
Möglichkeit, Klassen zu teilen, wird das Ziel, Naturwissenschaften als
Ausbildungs- und Studienziel akzeptierter zu machen, mit Sicherheit verfehlt. Zusammen
mit den zeitlichen Problemen aus Punkt 2 können die aktuellen
Lehrplanentwürfe trotz viel guten Willens der Entwickler es gar nicht leisten, den modernen
lernpsychologischen Erfordernissen gerecht zu werden.
Unser Angebot: Die Fachdidaktik Chemie könnte ein durchgängiges
Konzept vorlegen, wie die Schnittstellen zwischen der Jgst. 4 der Grundschule
mit der Unterstufe weiterführender Schulen auf der einen, sowie
der Unterstufe mit der Mittelstufe auf der anderen Seite, bestmöglich gestaltet
werden könnte.
5. Ein Fach Chemie ohne
schülerexperimentelle Möglichkeiten (in der Jgst. 8) erfüllt nicht
einmal die Mindestanforderungen, die an gymnasialen Unterricht
gestellt werden, nämlich die Schüler mit einer breiten theoretisch wie
praktisch gefestigten Allgemeinbildung für alle Studienrichtungen
auszustatten.
Unsere Diagnose:
-
Chemie ist eine empirisch-experimentelle
Wissenschaft, deren zugehörige Industrie mehr als die Hälfte aller
Arbeitnehmer in der Bundesrepublik versorgt. Dem entgegen steht die
Geringschätzung als zweistündiges, nicht durchgängiges Fach ohne
Freiraum zur experimentellen Ausgestaltung.
-
Das Fach Chemie ist mit den
Schülerübungen im G9-Fächerkanon eines der wenigen Fächer, in dem schon
bisher intensivierungs- oder profilstundenähnliche Unterrichtsarbeit
angeboten wurde. Auf die langjährige Erfahrung der Chemielehrer nun zu
verzichten und auf der anderen Seite die allgemeine Einführung solcher
Stunden zu feiern erscheint höchst widersprüchlich.
-
Es seien einige Leistungen der
Schülerübungen aufgelistet, auf die wir in Zukunft verzichten müssen:
-weitgehend selbst gesteuertes Lernen in Kleingruppen,
-hoher Grad an Primärerfahrung,
-eine der wenigen Gelegenheiten zur Selbsttätigkeit,
-Entwicklung von Sozialkompetenz,
-Entwicklung psychomotorischer und affektiver Fähigkeiten neben den
kognitiven.
Unser Angebot: Keines. Die Verantwortung liegt voll und ganz
bei den Gestaltern der Stundentafel.
6. Es ist unabdingbar und wäre
aufgrund der aktuellen Diskussion von Lehrqualität und Standards
überaus chancenreich, an die Neuentwicklung eines Schultyps nicht nur
die Konzeptionen der anderen Schultypen anzupassen, sondern auch die
Lehreraus- und -fortbildung weitestgehend auf die neuen Erfordernisse
abzustimmen.
Unsere Diagnose: Das aktuelle System liegt (bundesweit) quer zu
einer Orientierung hin zu Europa und den Vereinbarungen von Bologna.
Die übereilte Umstellung lässt keinen Raum, Schnittstellen von beiden
betroffenen Seiten aus zu definieren.
Unser Angebot: Zusammenarbeit mit den Fachleuten des
Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus mit dem Ziel,
ein auf das Schulsystem abgestimmtes modernes Konzept für die
Lehrerbildung in der 1., 2. (zusammen mit weit blickenden
Seminarlehrern) und 3. Phase zu entwickeln. Dies gilt ebenso für die
Entwicklungen von Bachelor- und Master-Studiengängen.
Die Mitglieder von ABayCD
Mai 2004 |
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